Mittwoch, 24. September 2008

Trojanischer Elch

Im moralischen Morast
Wenn Liberale plötzlich konservativ argumentieren: Amerikanische Feministinnen kritisieren Sarah Palin - und wollen sie zurück an den Herd schicken.
Von Susanne Klingenstein für die Süddeutsche Zeitung 19.09.

Die republikanische Vizepräsidentskandidatin Sarah Palin soll "ein konservativer Mann im Körper einer Frau" sein.



Eine Frau ist auf dem Weg ins Oval Office, nicht als Ehefrau, Playmate oder Ministerin, sondern als Vizepräsidentin. Sie ist nicht irgendeine Frau, sondern eine Frau, die für das Recht aller eintritt, Waffen zu tragen und dies auch selbst tut, eine Frau, deren Laufbahn mit den politischen Leichen zahlreicher Männer gesäumt ist. Seit Jahrzehnten streben die Feministinnen Amerikas ins Zentrum der Macht. Doch seit John McCain vor drei Wochen Sarah Palin als seine Stellvertreterin berief, schießen Amerikas Feministinnen aus allen Rohren.

Radikalfeministische Websites wie Feministing, Bitch und Menstrual Poetry nennen Palin "sexist” und erklären, dass sie in Wahrheit ein "konservativer Republikanischer Mann im Körper einer Frau" sei. Doch auch die etablierten, eher linksliberalen Feministinnen fallen in den Chor ein. "Ihre größte Heuchelei", erklärte die Theologin Wendy Doniger in der Washington Post, "ist ihr Anspruch, eine Frau zu sein.” In der Los Angeles Times erklärte die feministische Vorkämpferin Goria Steinem, Palin sei ein Instrument des Patriarchats. Sie sei gegen alles, was von der Mehrheit der Frauen befürwortet würde.

Paglia hält Palin für eine Pionierfrau alten Schlages, wie sie einst, den Männern gleich, mit der Knarre in der einen und dem Melkschemel in der andern Hand den wilden Westen zähmten. Paglia genießt die Politschau der schönen Wilden. "Ein Feminismus", so Paglia, "der die Bravura unter Hochdruck der ersten Gouverneurin eines Grenzstaates nicht bewundern kann, ist keinen Eimer warmer Spucke wert."


Wo bleibt die Entrüstung?

Die Besonneneren unter den Feministinnen versuchen, die Konservativen am eigenen alten Zopf aufzuhängen. Palin hat fünf Kinder. Ihr jüngster Sohn Trig kam im vergangenen April mit Down Syndrom zur Welt. Liberale Websites wie Daily Kos und Slate erinnerten die Konservativen an ihre vielgepredigten "Familienwerte", an ihren Glauben an die Hausfrau, die ihre Kinder zu guten Christenmenschen erzieht. "Welche Familienwerte feiert sie denn?", fragte die Daily Telegraph-Kolumnistin Liz Hunt. "Wie kann sie einen so hochprofilierten Job mit ihrer Pflicht vereinbaren, fünf Kinder zu erziehen?”

Die sehr liberale Liz Hunt klingt hier genau wie die sehr konservative Olivia St. John, die Anfang September "Palins feministische Verrücktheit” auf einer konservativen Internetseite anprangerte. Während Palin im Rampenlicht ihrer Nominierungsrede gebadet habe, hätten ihre Kinder im Schatten gestanden. Dies sei eine Metapher für Vergangenheit und Zukunft der ehrgeizigen Mutter, die als Bürgermeisterin von Wasilla ihre jüngste Tochter in einem Autositz unter ihren Schreibtisch stellte.

In der Tat, so St. John, sei die siebzehnjährige Tochter Bristol im moralischen Morast versunken, während die Mutter Alaska regierte. Wo sei da die moralische Entrüstung der Konservativen, riefen die Liberalen. Man sei erstaunt, so Leon Wieseltier in The New Republic, dass Michael Gerson, einst Bushs wichtigster Redenschreiber, jetzt evangelikaler Kleriker, sich darüber nicht entrüste, sondern nur müde abwinke, solche Schwangerschaften seien heute doch normal.


"Republikanische Aufblaspuppe"

Todd Palin ließ sich von seinem Job als Ölfeld-Vorarbeiter bei BP beurlauben, um Kindererziehung und Haushalt zu übernehmen und so die politische Laufbahn seiner Frau zu ermöglichen. Davon, dass die Kinder bei einem Umzug nach Washington benachteiligt werden würden, kann ja wohl keine Rede sein. Die Ernennung der Mutter zur Vizepräsidentin würde für die Kinder beste Schulen, beste Kinderfrauen, beste Gesellschaft, bestes Networking, beste Zukunftschancen und auf jeden Fall das Ende aller Geldsorgen bedeuten. Welche Mutter würde sich solche Chancen nicht für die eigenen Kinder wünschen und dafür eisern kämpfen?

Was also steckt hinter den ungezügelten feministischen Attacken auf Palin als "republikanische Aufblaspuppe" (Salon.com) wie auch als Mann im Frauenkostüm (Doniger)? Zunächst blanker Ärger. Bei Obama gibt es für die Frauen offenbar wenig zu gewinnen. Nur sieben seiner zwanzig wichtigsten Ratgeber sind Frauen (bei McCain sind es dreizehn). Joseph Bidens und nicht Hillary Clinton als Vizepräsidentschaftskandidaten zu berufen hat auch nicht geholfen. Dass Barack Obama und seine Frau Michelle an den Universitäten Harvard und Princeton ausgebildet wurden, hat sie zudem in den Ruf der Weltfremdheit gebracht.

Palin ist die so berechnende wie brillante Antwort der Republikaner auf das männliche Elite-Ticket Obama-Biden, und es ist die Kalkulation der sonst so frommen Konservativen, die Feministinnen nach Luft schnappen lässt. Palin riecht nach Arbeiter-Klasse, nach Zupacken, nach Aufräumen, nach Klarkommen. Sie weiß, was es heißt viele Kinder zu haben und was es kostet, sie zu erziehen. Sie ist schnell, witzig, couragiert, und sie weiß nichts. Das ist für viele Amerikaner nicht entscheidend, weil sie selbst nicht wissen, was Palin nicht weiß.


Palin als trojanischer Elch
Diese Wahl wird nicht von Fragen der Außenpolitik und Sicherheit getragen und entschieden, sondern von der Sorge der amerikanischen Mittelklasse um ihre finanzielle Zukunft und um die wirtschaftliche Stabilität des Landes. Die Amerikaner stehen in diesem Herbst vor einer echten Wahl. Biden und McCain stehen für Erfahrung und Knowhow; Obama und Palin für Jugend, Energie und den amerikanischen Traum. Dass Obama schwarz und Palin weiblich ist, beschäftigt im Grunde nur die "chattering classes" der Medienmacher und Kommentatoren, die mit Invektiven um Positionen kämpfen.

Im übrigen ist schon abzusehen, dass die feministischen Attacken sich bald totgelaufen haben werden. Arianna Huffington hat auf ihrer Internetseite huffingtonpost.com gerade die Schusslinie eingerichtet, auf die wir alle schon gewartet hatten: Es sei bekannt, erklärt sie, dass der nach wie vor ungebrochene neokonservative William Kristol die Gouverneurin Palin schon im Juni 2007 für eine Führungsrolle bei den Republikanern ausersehen habe.

Seit deutlich geworden sei, dass die Neokonservativen den Schlamassel im Irak angezettelt hätten, seien sie diskreditiert und weg von den Schalthebeln der Macht. Jetzt, so Huffington, wollten sie unter den Röcken Palins - das heißt, indem sie ihr leeres Hirn indoktrinieren - ins Weiße Haus zurückschleichen. Seht Euch vor, Leute, ist die neue Devise: Palin ist kein Mann im Schafspelz, sondern ein Trojanischer Elch.

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